Eine Wirtschaft, die allein auf das magische Wirken des Marktes vertraut, funktioniert nicht. Angesichts von Klimawandel und Globalisierung, Wandel der Arbeitswelt und Digitalisierung, sowie zahlreichen sich überlappenden Krisen wird das immer deutlicher. Deshalb ist es auch und gerade unter Bedingungen der Marktwirtschaft sinnvoll, mit staatlicher Industriepolitik auf unkontrollierte Entwicklungen des Marktes zu reagieren.
Der Inflation Reduction Act der USA (IRA) ist eine solche Reaktion auf gegenwärtige Herausforderungen. Er soll einen Weg aufzeigen, wirtschafts- und industriepolitisch effektive Schritte zu einer Transformation der Wirtschaft zu machen. Zugleich besteht durch ihn ein Risiko, dass sich Verflechtungen zwischen der US-Wirtschaft und der anderer Länder verringern und so eine „Autarkie“ der USA entsteht.
Die Zunahme weltweiter wirtschaftlicher Verflechtungen in den vergangenen Jahrzehnten hatte als Nebeneffekt eine friedenssichernde Wirkung: Das Ineinandergreifen internationaler Produktionsschritte und die sich über den ganzen Erdball erstreckenden Lieferketten führen dazu, dass selbst regionale kriegerische Auseinandersetzungen drastische Folgen für die Produktion in den meisten Ländern der Erde haben. Je stärker ein Land in diese wirtschaftlichen Verflechtungen eingebunden ist, desto irrationaler und schädlicher sind Kriege mit überregionalen Auswirkungen für seine Wirtschaft. Deshalb betrachten wir Bestrebungen zu einer Entflechtung der weltweiten wirtschaftlichen Beziehungen mit großer Besorgnis.
Linke Perspektiven auf die gegenwärtigen wirtschaftlichen Entwicklungen müssen immer im Sinne der Menschen sein. Unsere Wirtschaftspolitik steht daher im Bestreben, den Wohlstand aller Menschen zu mehren und den Frieden zu wahren. Eine linke Antwort auf den IRA muss deshalb dem Versuch widerstreben, mit einer gegenseitigen Entflechtung zu reagieren. Zugleich wollen wir die Bedingungen für einen wirklichen gesellschaftlichen Wandel in umwälzenden Zeiten auch in Europa bereiten und setzen uns daher im Rahmen einer nationalen und europäischen Industriestrategie für Folgendes ein:
1. Öffentliche Investitionen erhöhen
- Europäische Investitionen in Klimaneutralität und Schlüsseltechnologien müssen massiv ausgebaut werden: Dafür müssen auf EU- und nationaler Ebene konkrete Kapazitätsziele gesetzt werden, die sich am zu erwartenden Bedarf der Industrie orientieren, gleichzeitig müssen Genehmigungsverfahren beschleunigt werden.
- Elementar für Europas Wirtschaft sind tragfähige Energie- und Strompreise. Der massive Ausbau der in der Erzeugung wesentlich günstigeren erneuerbaren Energieträger und ein auf den Einsatz von Erneuerbaren ausgerichtetes Markt-Design sind deshalb für langfristig niedrige Preise elementar. Für niedrige Produktionspreise ist zudem ein Industriestrompreis absolut erforderlich; dieser darf nicht mehr als 7 ct/kwh betragen.
- Innereuropäische Infrastrukturoffensive insbesondere für Breitbandausbau und Wasserstoffinfrastruktur: Die Versorgungsinfrastruktur muss europäisch gedacht und umgesetzt werden – nationale Lösungen werden den Anforderungen der Industrie nicht gerecht. Die Infrastruktur muss über eine umfangreiche Offensive ausgebaut werden, um ein internationales level playing field für die Industrie herzustellen.
- Investitionsprogramme sollten grundsätzlich europäisch geplant werden. Gleichzeitig benötigt insbesondere das EU-Beihilferecht dringend ein Update: Das beinhaltet die deutliche Anhebung der Schwellenwerte, sowie eine Ausweitung der Möglichkeiten bei einfacherer Antragstellung und Verfahrensprozessen, um Staaten mehr Spielraum für Subventionen und strategische Unterstützung zu geben. Dabei fordern wir ergänzend:
1. Um eine Verzerrung zu Gunsten der finanzstärksten Länder zu vermeiden, ist zusätzlich ein Solidaritätsfonds für finanzschwächere Länder nötig.
2. Bis zur Aktualisierung müssen die aktuellen Beihilferegeln maximal ausgereizt und im Sinne des Erhalts der Industriestrukturen und zukunftssicherer Arbeitsplätze ausgelegt werden können.
3. Mitgliedsstaaten sollten die Möglichkeit zur Subventionierung erhalten, wenn vergleichbare Projekte auch „außerhalb der EU“ subventioniert werden.
- Steuergutschriften, Abschreibungen & Klimaschutzverträge bieten eine besondere Möglichkeit der Förderung: Über Superabschreibungen & Steuergutschriften sollten Anreize für klimaschonende Investitionen gesetzt werden – ohne feste Deckelung, sondern orientiert am Bedarf. Die Effekte von Klimaschutzverträgen sollen zudem weiter verstärkt geprüft und bei gut funktionierender Wirkung ausgeweitet werden. Parallel ist die Einrichtung grüner Leitmärkte – also staatlich geförderter Märkte – für klimaneutral produzierte Grundverarbeitungsstoffe wie grünem Stahl voranzutreiben.
2. Finanzierung
- National: Kurzfristig ist die strengere Durchsetzung bestehender Steuergesetze sowie das Schließen von Schlupflöchern nötig, langfristig eine höhere Besteuerung von Unternehmen und reichen Privatpersonen unumgänglich. Für eine Anschubfinanzierung sollte der Bund auf den Einsatz nicht abgerufener Mittel aus dem 200 Milliarden Euro Abwehrschirm zurückgreifen.
- Auf EU-Ebene sind neben der Aufstockung des europäischen Finanzrahmens und Überführung des NextGenerationEU-Programms in einen dauerhaften Transformationsfonds für Klimaschutz und Schlüsselindustrien weitere Anstrengungen nötig:
1. Um insbesondere finanzschwächere EU-Mitgliedsstaaten beim Ausbau der Erneuerbaren zu unterstützen, gilt es, „Re-Power-EU“ weiter aufzustocken.
2. Für eine erste Finanzierung der Investitionen sollte die EU gemeinsame Anleihen Zusätzlich würde die Aussetzung der Fiskalregeln bei definierten Zukunftsinvestitionen den Spielraum der EU-Staaten deutlich erhöhen.
3. Vollendung der Kapitalmarktunion & eigene EU-weite Steuern. Wir setzen uns weiterhin für die Finanztransaktionssteuer ein.
3. Anforderungen – Wer profitiert, muss auch erfüllen:
- Gute Arbeit: Industrieförderung muss an die Erfüllung von Arbeitsschutz-Standards geknüpft werden. Wer von Investitionsprogrammen, Subventionen oder Förderprogrammen profitiert, muss tariflich organisiert sein, Elemente der Mitbestimmung stärken und den Beschäftigten einen guten Lohn, sowie gute Arbeitsbedingungen bieten.
- Zugang zu Technologie: Europa darf nicht protektionistisch Gleichzeitig sollten auch europäische Unternehmen profitieren, wenn außereuropäischen Unternehmen Subventionen zuteilwerden. Hierzu gibt es verschiedene denkbare Möglichkeiten. So könnten außereuropäische Unternehmen verpflichtet werden, europäischen Partnerunternehmen Zugang zu ihren durch die Förderung entwickelten Technologien zu geben oder sich über Standortgarantien zu langfristigem Engagement an europäischen Standorten zu bekennen. Entsprechende Verpflichtungen müssten dann jedoch stets in beide Richtungen wirken.
4. Qualifizierung:
- EU-weit müssen größere Anstrengungen zur Ausbildung von Arbeitnehmer*innen in klimafreundlichen Industriezweigen & Schlüsselindustrien unternommen und Qualifikationen anerkannt werden.
- Die Jugendgarantie muss ausgebaut, gleichzeitig müssen gemeinsame, hochwertige Standards – gerade in Ausbildungen mit Bezug zu Zukunftstechnologien – geschaffen werden. Für eine echte – mit Rechtsanspruch versehene – Ausbildungsgarantie setzen wir uns sowohl auf nationaler als auch EU-Ebene ein.
Klar ist für uns: Industriepolitische Programme der wirtschaftsstarken Regionen dürfen nicht zu Lasten der wirtschaftlichen Entwicklung anderer Länder – insbesondere im globalen Süden – gehen. Klimaschutz ist eine globale Aufgabe und die Transformation in eine klimaneutrale Zukunft ist nur gemeinsam zu bewältigen. In diesem Zusammenhang müssen die Regeln der WHO so angepasst werden, dass Umwelt- und Klimaschutz stärker gefördert und Länder des globalen Südens mehr Möglichkeiten zur Entwicklung eigener Lösungen erhalten.
Mit unseren Thesen tragen wir zur Debatte um die besten Antworten auf die wirtschaftspolitischen Herausforderungen der Gegenwart bei und zeigen Mittel auf, diesen zu begegnen.