Ist die SPD noch zu retten? Von Klaus Moegling

22. November 2018

Ist die SPD noch zu retten?

Laut einer Forsa-Umfrage vom 3.11.18  liegt die einstige Volkspartei SPD bundesweit bei 13% der Wählerstimmen für eine etwaige Bundestagswahl (die Grünen übrigens bei 24%).

https://www.mmnews.de/politik/99112-forsa-gruene24, 5.11.2018

Um es vorweg zu schicken: Aus meiner Sicht ist es kein Grund zum Jubeln, dass die einstige Partei von Willy Brandt, Erhard Eppler, Herta Däubler-Gmelin und Hermann Scheer im ständigen Niedergang ist. Aus der einstig linken Volkspartei, die einmal ein Bollwerk für sozialpolitische Errungenschaften und gegen den Rechtsextremismus war, ist eine Schrumpfpartei in der Dauerkrise geworden.

Ursachen des Niedergangs der SPD

Ich sehe die Hauptursache des beständigen Absinkens der SPD in ihrer verloren gegangenen Vertrauenswürdigkeit. Insbesondere das Ausliefern der Arbeitnehmer_innen an die Regelungen von Hartz IV durch die Regierungsarbeit von Gerhard Schröder und dem jetzigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (beide SPD) führte zu einer tiefen Vertrauenskrise insbesondere in ihrer Stammwählerschaft – den Arbeitnehmer_innen – die bis heute nicht behoben ist.

Hinzu kommt, dass die deutsche Sozialdemokratie nicht in der Lage war, eine ökologische Glaubwürdigkeit zu entwickeln. Die Reformansätze, die insbesondere durch den SPD-Politiker Hermann Scheer im Bereich der Solarenergie erzielt wurden, wurden von seinem Parteigenossen Sigmar Gabriel als Wirtschaftsminister und SPD-Chef wieder zunichte gemacht. Immer wieder werden zudem mit dem Arbeitsplatzargument ökologisch sinnvolle Veränderungen blockiert, wie z.B. beim Stopp des klimaschädlichen Braunkohleabbaus oder bei der Frage nach Sanktionen für die in den Dieselbetrug verstrickten Konzerne.

Auch im Bereich der Friedenspolitik konnte die SPD keine klaren Akzente setzen, fiel eher durch die massive Steigerung der durch ihre Vertreter genehmigten Rüstungsexporte, u.a. nach Saudi Arabien, auf. Auf dem internationalen Parkett agieren die zuständigen SPD-Bundesminister, erst Gabriel, jetzt Heiko Maas, eher unauffällig und angepasst. Die wirkungsvolle Übernahme von friedensstiftenden Vermittlerrollen in akuten internationalen Konflikten, wie z.B. den Kriegen im Jemen oder in Syrien, ist nicht zu erkennen.

Ebenso ist ein relevanter Widerstand gegen die massive Erhöhung des Bundeswehretats in der SPD nicht sichtbar. Dieses Geld wird für sozialpolitische oder ökologische Maßnahmen zukünftig nicht mehr zur Verfügung stehen.

Lautstark protestiert die SPD vor den Wahlen gegen die sich ausweitende soziale Schere zwischen arm und reich, nach den Wahlen ist davon dann nichts mehr zu spüren, ist sie sogar an einer 3%-igen Umsatzsteuererhebung beteiligt, die insbesondere die geringeren Einkommen beeinträchtigt. Eine von Oskar Lafontaine einst ins Gespräch gebrachte Spekulationssteuer auf den Finanzmärkten, wie z.B. die Tobin-Steuer, hat die SPD glatt verdrängt.

Diese Aufzählung ließe sich mit der Erfolgslosigkeit von SPD geführten Regierungen auf Bundes- und Länderebene gegen die massiven Mietpreissteigerungen in den Großstädten, hinsichtlich der Erhöhung und effektiven Kontrolle der Mindestlöhne, hinsichtlich einer ungenügenden ärztlichen Versorgung insbesondere in ländlichen Regionen sowie der zunehmenden Altersarmut fortsetzen.

Auch in der Bildungspolitik hat sich die SPD, sobald sie in der Regierungsverantwortung in den Bundesländern war, in der Regel aus dem Engagement für (echte) Gesamtschulen zurückgezogen – einem genuin sozialdemokratischen Bildungsprojekt, um mehr Chancengleichheit zu erreichen.

Hinsichtlich des Umgangs mit Migration und Flucht kann die SPD keine wirksamen Impulse setzen, die das Sterben im Mittelmeer verhindern könnten, welche die ungeklärten Voraussetzungen für eine Einwanderung durch ein modernes Einwanderungsrecht ersetzen sowie die Mittel bereit stellen könnten, die für eine sinnvolle Integration der nach Deutschland zugewanderten Menschen notwendig sind. Hier reicht das Spektrum der SPD-Meinungen von rechtspopulistischen Positionen bis hin zu einer naiven Laissez-faire-Politik.

Es ist daher sehr verständlich, dass eine Mehrheit der Deutschen nicht mehr weiß, wofür die SPD steht. Daher scheint es dann auch nicht mehr notwendig, die SPD noch bei entsprechenden Wahlen zu wählen.

Hinzu kommt, dass es wir es mit der SPD mit einer oligarchischen Organisation mit einer diffusen Mischung aus bürokratischen und (schein)demokratischen strukturellen Eigenschaften zu tun haben. Kleine in den Organisationsspitzen angesiedelte Cliquen entscheiden über Listenplätze und Positionen. Wer höher gestellte SPD-Funktionäre parteiintern kritisiert – auch wenn die Argumente gut durchdacht und berechtigt sind – muss damit rechnen, dass er für einen Aufstieg in der Hierarchie der SPD nicht mehr infrage kommt. Diese verkrusteten Strukturen machen es der SPD schwer, sich neu zu ordnen und frische Ideen aufzunehmen und umzusetzen.

Was müsste die SPD tun, um sich erfolgreich zu verändern?

Die SPD kann sich sowohl in der Regierungsverantwortung als auch in der Opposition verändern. Es gibt überhaupt keine logischen Argumente, die gegen die programmatische und strukturelle Veränderung einer Partei in der Regierungsverantwortung sprechen. Mit einer solchen Ursachenanalyse und Handlungsoption würde man es sich zu leicht machen, zumal man sich des politischen Einflusses berauben würde.

Zunächst muss die SPD sich strukturell erneuern. Listenplätze dürfen nicht mehr von der Parteispitze beeinflusst werden, z.B. dass auf Landesparteitagen nur in Blöcken zusammengefasste Listenplätze gewählt werden dürfen, somit eine Wahl von (unbequemen) Einzelpersonen verhindert wird. Wenn die sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaften sich auch für interessierte Bürger und Experten öffnen sollen, dann darf deren Arbeit nicht für den Papierkorb sein, sondern muss auch ernsthaft im Rahmen der Parteiarbeit berücksichtigt werden. Viel öfters müsste die Parteibasis ermuntert werden zwischen verschiedenen Kandidaten_innen auszuwählen, so dass die starre sozialdemokratische Führungsoligarchie auf der Bundesebene, der Länderebene und der kommunalen Ebene zunehmend aufgelöst und neue Impulse gesetzt werden können.

Im Zuge einer strukturellen Neuaufstellung der SPD als demokratische Partei muss sie für sich programmatisch klären, für welche Politik sie steht und wo ihre politische Identität zu suchen ist.

Ich kann der SPD nur raten, sich konzeptionell in die Richtung einer linken und sozialökologischen Volkspartei weiter zu entwickeln bzw. entsprechende bereits in der Vergangenheit schon einmal vertretene Ansätze wieder ernsthaft aufzugreifen. Nur hier hat sie einen Wert als parteipolitisches Original.

Hierzu gehört endlich, die ökologischen Fragestellungen glaubhaft in den Mittelpunkt der eigenen Programmatik zu stellen. Auch das Eintreten für Bildungsgerechtigkeit über die Förderung integrativer Gesamtschulsysteme und ein längeres gemeinsames Lernen von Kindern aus unterschiedlichen sozialen Schichten sollte wieder zum zentralen Anliegen der SPD werden. Eine deutliche Distanzierung von den neoliberalen Hartz IV-Reformen und das Eintreten für Bevölkerungsschichten, die von geringen Löhnen, Arbeitslosigkeit oder Altersarmut bedroht sind, gehören genauso dazu, wie der Verzicht auf Rüstungsexporte in Spannungsgebiete sowie das verstärkte Engagement für Entwicklungsländer und für die Friedenssicherung.

Auch muss die SPD sich dazu positionieren, dass in den nächsten zwei Jahrzehnten durch den digitalen Wandel möglicherweise zwischen 30% und 40% der bisherigen Arbeitsplätze wegfallen werden. Hier müssen realisierbare Vorschläge auf den Tisch, wie die Zukunft der Arbeit aussehen soll und wie menschenwürdige Arbeitsplätze erhalten und geschaffen werden können.

Dies sind nur einige Eckpunkte einer programmatischen Reform der SPD.

Dies wird der SPD aber nur helfen, wenn sie den Mut und den Nonkonformismus aufbringt, sich in gesellschaftliche Konflikte hineinzubegeben und für ihre Ziele zu streiten – dabei dann auch den Verlust einer Regierungsverantwortung zu riskieren.

Prof. Dr. Klaus Moegling

Fb Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel

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