Am 28. Januar haben wir uns auf einer Online-Veranstaltung mit dem Titel „Syrien – Wie weiter nach dem Sturz Assads?“ mit der Frage befasst, wie die Zukunft Syriens aussehen und welche Rolle Deutschland dabei spielen könnte. Zu diesem Thema berichtete der Syrien-Experte Dr. Sascha Ruppert-Karakas, moderiert vom Vorstandsmitglied Lorans El Sabee.
Nach der Begrüßung durch den DL21-Ko-Vorsitzenden Jan Dieren, MdB, zeichnete Dr. Ruppert-Karakas in seinem Input ein Bild des autoritären Herrschaftssystems unter der Assad-Dynastie und widerlegte den Mythos, Assad sei ein „säkularer Herrscher“ gewesen – eine Behauptung, die zur Propaganda benutzt wurde, um jede Opposition zu delegitimieren. Im Gegenteil: Assad nutzte ethnische, sektiererische und religiöse Unterschiede gezielt, um verschiedene Gruppen gegeneinander auszuspielen und seine Herrschaft zu verfestigen. Aus diesen Spannungen formierten sich später mehrere Gruppierungen, die zu prägenden Akteuren im Bürgerkrieg wurden. Dr. Ruppert-Karakas beleuchtete dabei die Geschichte und Entstehung von Hayat Tahrir al-Sham (HTS) im Kontext der syrischen Aufstände. Die Gruppierung, die ursprünglich als islamistische Miliz begann, etablierte in Idlib eine Art Staatsformation und trug letztlich maßgeblich zum Sturz Assads bei. Dabei setzte HTS einerseits repressive Methoden ein, schuf andererseits aber auch bemerkenswerte institutionelle Strukturen. Aus der Frage, wie aus den Überresten von über 50 Jahren Assad-Herrschaft und der Geschichte der neuen Machthaber ein funktionierender Staat entstehen kann, entwickelte sich eine Diskussion, deren zentrale Erkenntnisse sich wie folgt zusammenfassen lassen:
Vom Milizwesen zur Staatsbildung
HTS gelang es, sich durch eine pragmatische Strategie von einer reinen Miliz zu einer quasi-staatlichen Ordnung mit Ministerien und Verwaltungsstrukturen zu entwickeln. Diese Ausrichtung signalisiere eine Gesprächsbereitschaft, die über starre ideologische Grenzen hinausgehe – auch wenn der Weg zu einem breiteren Konsens mühsam und langwierig bleibe. Zugleich blieben die inneroppositionellen Spannungen zwischen säkularen Kräften, Islamisten und ehemaligen Regimefunktionären hochbrisant.
Vergangenheitsbewältigung als Grundpfeiler der Stabilität
Ein wesentlicher Schwerpunkt der Diskussion lag auf Transitional Justice und der Notwendigkeit, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Versöhnung und Aufarbeitung seien essenziell für eine stabile Zukunft – eine Aufgabe, die zusätzlich erschwert werde, wenn ehemalige Regime-Kader in neue Machtstrukturen integriert werden. Dieser Balanceakt werde zentral für die Zukunft Syriens sein.
Die Rolle Deutschlands
Auch die außenpolitische Rolle Deutschlands wurde eingehend diskutiert. Eine mögliche Lockerung der Sanktionen könnte den Prozess einer frühen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erholung unterstützen – allerdings sollte dies unter klar definierten Bedingungen geschehen, die verhindern, dass autoritäre Strukturen erneut an Einfluss gewännen. Entscheidend werde sein, wie diese Maßnahmen umgesetzt werden können, ohne kolonialen Eindruck zu erwecken, der Syrer*innen in die Arme von autoritären Staaten führen könne.
Die Diskussion machte deutlich: Die Zukunft Syriens bleibt ungewiss. Während die Bevölkerung auf Stabilität hofft, steht die internationale Gemeinschaft vor der Herausforderung, angemessen mit den neu entstandenen Machtstrukturen umzugehen. In Syrien steht sehr viel auf dem Spiel. Jetzt aber bietet sich die Möglichkeit, durch Kooperationsangebote Stabilität in die Region zu bringen und Menschenrechte zu schützen.