Die BayernSPD wollte sie nicht (Keine Autobahnprivatisierung durch die Hintertür), große Teile der SPD wollten sie nicht, Linke und Grüne wollten sie nicht, selbst Teile der CDU wollte sie nicht (Tagesschau, Widerstand gegen Schäuble-Plan), große Teile der Zivilgesellschaft wollte sie nicht (Leserkommentar in tagesschau.de), der Bundesrechnungshof lehnt sie ab und dennoch steht die Autobahnprivatisierung jetzt in Artikel 90 des Grundgesetzes!
Wie konnte das geschehen?
„Die ursprünglichen Pläne von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt sahen vor, die Autobahnen in eine private Gesellschaft zu überführen, an der auch private Investoren Anteile kaufen können. Darüber hinaus sollte diese Gesellschaft umfangreich Kredite aufnehmen können, die nicht mehr der parlamentarischen Kontrolle unterliegen. Auch ganze Autobahnnetze sollten als Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) zugelassen werden. Die Gesellschaft sollte sich aus den Einnahmen aus Pkw-und Lkw-Maut finanzieren.“, so die Tagesschau vom 26.04.2017 (Tagesschau vom 26.04.2017).
SPD-Bundestags-Fraktionsführer Oppermann sagte gegenüber Monitor: „Wir wollen weder die Autobahnen noch die Infrastrukturgesellschaft in irgendeiner Weise privat gestalten. Das wollen wir ausschließen.“ (Tagesschau, SPD will Grundgesetz umfassend ändern)
NUN STEHT IN ARTIKEL 90 DES GRUNDGESETZES:
Der Bund kann zur Verwaltung der Bundesautobahnen sich „einer Gesellschaft privaten Rechts bedienen“. (Artikel 90, II, Satz 2)
Eine Beteiligung Privater im Rahmen von Öffentlich-Privaten Partnerschaften (ÖPP) möglich ist für Streckennetze, die nicht „das gesamte Bundesautobahnnetz oder das gesamte Netz sonstiger Bundesfernstraßen in einem Land oder wesentliche Teile davon umfassen“ (Artikel 90, II, Satz 4).
Mit einem einfachen Bundesgesetz dürfen nun, per Grundgesetz abgesichert, Autobahnen und Bundesfernstraßen bis 100 km mit Öffentlich-Privaten Partnerschaften (ÖPPs) privatisiert werden können!
2017-06-02 Änderung des GG, Artikel 90, Bundesautobahnen (PDF, 199 kB)
Am 1. Juni 2017 haben von den 603 Bundestagsabgeordneten in Namentlicher Abstimmung
455 mit Ja und 146 mit Nein gestimmt, 2 sich enthalten, und 27 waren nicht anwesend. Damit wurde mit 72% die Zweidrittelmehrheit der 630 Mitglieder des Bundestags erreicht. (2017-06-01 Bundestag, Namentliche Abstimmung zu Art 90 GG, Autobahnprivatisierung (PDF, 170 kB))
Alle anwesenden Linken haben mit Nein gestimmt, und alle Grünen bei 1 Enthaltung. Von der CDU/CSU haben alle außer Josef Göppel und der Bundestagspräsident Dr. Lammert mit Ja gestimmt. Bei der SPD gab es 152 Ja, 32 Nein, 1 Enthaltung und 8 Nichtanwesend, also 79 % Zustimmung.
Sehr enttäuschend ist, dass 13 der 22 bayerischen SPD-Bundestagsabgeordneten dieser Grundgesetzänderung zugestimmt haben, obwohl nur wenige Tage zuvor der Bayerische SPD-Landesparteitag einstimmig oder fast einstimmig, also auch mit den anwesenden Abgeordneten; die Autobahnprivatisierung abgelehnt hat!
Auf dem Landesparteitag der BayernSPD in Schweinfurt hatte diese beschlossen:
„Keine Privatisierung der Autobahnen und keine privatrechtliche Bundesfernstraßengesellschaft“
„Keine staatliche Infrastrukturgesellschaft des Bundes nach privatem Recht“
„Wir lehnen die Beteiligung Privater im Rahmen von Öffentlich-Privaten-Partnerschaften (ÖPP) ab, das gilt für Einzelprojekte bis 100 Kilometer.“
Immerhin: Die bayerischen SPD-Abgeordneten Klaus Barthel, Uli Grötsch, Rita Hagl-Kehl, Florian Post, Ewald Schurer, Andreas Schwarz, Claudia Tausend, Carsten Träger haben Nein gesagt. Martina Stamm-Fibich hat sich enthalten. Sie haben offenbar dem Druck standgehalten, mit Ja zu stimmen! Sie haben in dem Sinne abgestimmt, wie es die bayerische SPD in ihrem demokratisch gefällten Beschluss zum Ausdruck brachte. Für diese konsequente, aufrechte Haltung danken wir ausdrücklich!
Die anderen Abgeordneten hoffen wohl, dass die Einfügungen, welche die SPD gegen die CDU/CSU durchgesetzt hat, das Schlimmste verhindern. Diese sind:
„Der Bund bleibt Eigentümer der Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs. Das Eigentum ist unveräußerlich.“ (Artikel 90, Absatz 1)
Die Bundesautobahn-Verwaltungsgesellschaft „steht im unveräußerlichen Eigentum des Bundes. Eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung Dritter an der Gesellschaft und deren Tochtergesellschaften ist ausgeschlossen.“ (Artikel 90, Absatz 2, Satz 3 und 4)
Wir von der DL21 und der bayerische SPD-Landesparteitag waren und sind skeptisch, ob diese Schranken genügen, eine für unsere Gesellschaft schädliche Privatisierung zu verhindern. Das Autobahn-Tafelsilber wird 100-km-weise abgegeben, und diese Teilstücke könnten zu einer großen Masse werden.
Wesentlicher Grund für viele Zustimmende war wohl die Erpressung, dass man die Autobahnprivatisierung mit anderen positiven Gesetzen zusammengefasst hat. Darin liegt die eigentliche Schweinerei! Wer ist dafür verantwortlich?
Die Bundesvorsitzende der DL21, die SPD-Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis, brachte den Vorschlag in die Debatte ein, über die in ein Gesetzespaket zusammengefassten Gesetze einzeln abzustimmen. Dem wurde leider nicht entsprochen.
Die Parlamentarische Linke in der SPD-Bundestagsfraktion kritisiert, dass die Verhandlung zu dem Regelungspaket „auf einer von der Verfassung nicht vorgesehenen Ebene zwischen Länderregierungen und Bundesregierung“ stattgefunden hat“ und die Beratungen des Bundestages deutlich erschwert werden, „wenn Ministerpräsidenten von CDU/CSU, SPD, Grünen und Linken vorher schon mit der Bundesregierung ein Gesamtpaket verabschieden, das dann faktisch nicht mehr ‚aufgeschnürt‘ werden darf.“ (Parlamentarische Linke, Verkehrsinfrastrukturgesellschaft als größtes Streitthema)
Man sollte auch nicht vergessen, dass der Bundesrat zu 100 % den Gesetzesänderungen zugestimmt hat: Linke und Grüne haben im Bundesrat zugestimmt. Insofern ist ihr Nein im Bundestag leider scheinheilig.
KONSEQUENZEN:
- Es muss mehr offengelegt werden, welche Lobbyisten sich wie oft mit wem treffen, und welche Spendengelder fließen. (Abgeordnetenwatch)
- Der Staat muss mehr in die Infrastruktur investieren, so dass sich die Notwendigkeit und Gelegenheit für ÖPPs erst gar nicht ergibt. Dazu müssen die Superreichen endlich einen angemessenen, erheblich höheren Beitrag zur Finanzierung leisten.
- Für die Zukunft gilt es, zu verhindern, dass zustimmungsfähige und nicht zustimmungsfähige Gesetze in Gesetzespaketen zusammengefasst werden! Sonst können unsere frei gewählten Abgeordneten nicht frei entscheiden!
- Zeitungen, Rundfunk und sonstige Medien müssen mehr und genauer über so wichtige Fragen wie Grundgesetzänderungen berichten.
- Die demokratische Meinungsbildungsprozess der Parteien muss weiter gestärkt werden! Die BayernSPD hat hierzu einige wegweisende Beschlüsse gefasst, welche der Parteibasis mehr Rechte verleihen sollen. Es bleibt zu hoffen, dass sich diesen Vorschlägen der sozialdemokratische Bundesparteitag anschließt. (Beschlüsse BayernSPD Landesparteitag)
- Die SPD muss eine konsequente sozialdemokratische Politik betreiben und so viel Stimmen erreichen, dass sie die Kompromisse hin zu einer neoliberalen Politik nicht eingehen muss! Kein ÖPP ist mit einer CDU/CSU nicht und mit einer FDP erst recht nicht möglich! Linke Perspektiven, den Beitrag der DL21 für ein SPD-Regierungsprogramm findet man hier: DL21, Linke-Perspektive-2017 (PDF, 1,05 MB)
HINTERGRUNDINFORMATIONEN UND BEISPIELE für Privatisierungen:
Informationen zur Autobahnprivatisierung
SWR-Film, Wasserprivatisierung – Wie aus Wasser Geld wird
Die Probleme von ÖPP am Beispiel der Wasserprivatisierung zeigt sehr anschaulich, mit vielen Beispielen aus Frankreich und Deutschland, der Film: Arte – Wasser zu Geld – Water makes money – Deutsch