Wir stolpern konzeptionslos in verstärkte Militäreinsätze

21. März 2018

Am morgigen Sitzungstag stimmt der Bundestag über die Verlängerung zahlreicher Einsätze der Bundeswehr ab. Die Bundesvorsitzende der DL21 und Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis sieht die verstärkte militärische Präsenz kritisch.

 „Jahr für Jahr verlängern wir die Einsätze der Bundeswehr und jetzt soll die Präsenz auch noch verstärkt werden: Die Bundesregierung beantragt nun, rund 3200 Soldatinnen und Soldaten in Kriegsgebiete zu entsenden.“, erklärt Hilde Mattheis. „Angesichts dieser Ausweitung können die Abgeordneten, aber vor allem die betroffenen Soldatinnen und Soldaten und ihre Angehörigen erwarten, dass ein schlüssiges Konzept zur erfolgreichen Beendigung dieser Einsätze vorliegt. Das bleibt die Verteidigungsministerin schuldig.“ Nur mit der Veränderung der Sicherheitslage zu argumentieren und an unsere Verantwortung zu appellieren, wie es die Verteidigungsministerin tue, sei angesichts der Zunahme der Krisen eine sehr dünne Argumentation.

Außerdem sei es äußerst zweifelhaft, dass die Unterstützung der Sicherheitskräfte vor Ort mehr Sicherheit und Stabilität bringe. Das sei durch vergangene Mandate nicht belegt.

„Die Bundeswehr ist seit über 15 Jahren im Einsatz in Afghanistan. Das Land wurde bis heute nicht ausreichend stabilisiert. Woher nimmt die Bundesregierung die Gewissheit, dass das in einer mindestens genauso instabilen Region wie Irak gelingt?“, fragt Mattheis kritisch. „Es muss doch ein Warnsignal an den Bundestag und die Bundesregierung sein, wenn die Bundeswehr selbst die schlechte Ausrüstung, fehlende strategische Konzepte und naive politische Ziele moniert. Hier müssen wir ein Stoppzeichen setzen.“

 

 

Internationaler Frauen*tag & 100 Jahre Frauenwahlrecht

8. März 2018

100 Jahre Frauenwahlrecht

Weitere Informationen zum Wahlrecht und Internationalen Frauen*tag findet ihr hier.

von Rita Haller-Haid, MdL a.D.

In diesem Jahr wird das Frauenwahlrecht 100 Jahre alt. Dieses Recht musste einst hart erstritten werden, hart erstritten von Frauen. Geschenkt worden ist den Frauen nie etwas, vielleicht zum Muttertag, aber niemals politisch. Und was für 1918 galt, gilt 100 Jahre später, für 2018 immer noch. 100 Jahre, das klingt zumindest für die Jüngeren sehr weit weg, aber für mich sind das gerade mal drei Generationen. Meine Großmutter durfte 1918 zum ersten Mal wählen und hat von diesem Recht auch Gebrauch gemacht. Wie sie mir erzählt hat, hat sie beim ersten Mal das gewählt, was ihr mein Großvater gesagt hat. Ihr Mann hätte sich einfach mit der Politik besser ausgekannt.

So ganz weit weg ist eine solche Einstellung auch heute nicht, Immer noch viel zu viele Frauen überlassen Politik den Männern.
Und das ist auch der Grund, warum der frauenpolitische Fortschritt häufig nur im Schneckentempo daher kommt. Gleichwohl ist es für viele heute kaum noch vorstellbar, dass Frauen in nicht allzu fern liegenden Zeiten von dem Grundrecht zu wählen einfach ausgeschlossen waren. Dabei gehörte Deutschland nicht mal zu den letzten Ländern in Europa, die das Frauenwahlrecht eingeführt haben. Früher als Deutschland waren lediglich Finnland, 1906 als erstes Land, Norwegen 1913, Island und Dänemark 1915. Aber selbst das republikanische Frankreich führte das Frauenwahlrecht erst 1944, Italien 1948, das Mutterland der Demokratie, die Schweiz 1971 ein, und als letztes Portugal 1974. Da musste erst eine Nelkenrevolution stattfinden, die das reaktionäre Sarrazin-Regime aus den Angeln hob.

So war das häufig. Erst musste ein konservatives monarchistisches, manchmal auch reaktionäres oder faschistisches Regime abgelöst werden (bis heute haben solche Vertreter mit Frauenrechten bekanntlich wenig am Hut), bevor die gesamte Bevölkerung das Stimmrecht erhielt. Das war 1918 in Deutschland und Österreich so, auch in Großbritannien ging das Kriegsende mit großen Veränderungen einher. Gleichwohl ließen sich die Briten eine besonders aparte Variante einfallen. Damals erhielten Männer ab 21 Jahren das Wahlrecht, Frauen nur mit Grundbesitz und auch erst ab 30 Jahren. Wen wollte man wohl damit treffen?
Dafür, für diesen kleinen Sieg, der immer noch viele Frauen ausschloss, hatten die britischen Frauen bereits jahrzehntelang gekämpft – und zwar mit Vehemenz und dafür wurden sie entsprechend diskriminiert. Die Suffragetten, wie diese Aktivistinnen genannt wurden, hatten deshalb vieles auszuhalten. Sie wurden als Kriminelle und Geisteskranke beschimpft und es ist nicht bekannt, dass die Frau an der Spitze des britischen Establishments, Königin Victoria, je für ihre Geschlechtsgenossinnen Partei ergriffen hätte. Nicht einmal, als einige von ihnen im Gefängnis gelandet waren. Doch noch schlimmer als ihnen ist es zuvor in Frankreich Olymp de Gouges mit ihrer Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin ergangen. Sie wollte sich mit keiner Regierung ohne Frauenrechte abfinden und landete deshalb unter der Guillotine, was zeigt, dass Revolutionäre eben auch nicht automatisch Feministen sind.

Aber zurück nach Deutschland, wo 1873 zum erstmals eine Frau, Hedwig Dohm, das Frauenwahlrecht gefordert hat. 1891 übernahm die SPD diese Forderung in ihr Erfurter Programm – also 32 Jahre nach ihrer Parteigründung und 16 Jahre nachdem sich in Leipzig der erste Frauenbildungsverein, der Allgemeine Deutschen Frauenverein gegründet, hat. Übrigens, der Grund, warum sich Frauen damals zusammenschlossen, war nicht in erster Linie der Wunsch nach einem Frauenwahlrecht, sondern die steigende Frauenarmut – ein Problem, das uns bis heute erhalten blieben ist. Aber in diesen sozialen Auseinandersetzungen wurde der Ruf nach einem Frauenwahlrecht immer lauter und die SPD war die einzige Partei, die diesen Ruf gehört hat, wenngleich es auch bei ihr gedauert hat. Erstens stand auch bei der Sozialdemokratie – so wenig wie bei anderen Parteien – das Thema Gleichberechtigung an vorderster Stelle. Zweitens, das darf man nicht vergessen, war zu jener Zeit die Mitarbeit von Frauen in politischen Parteien verboten – auch nachdem das Sozialistengesetz wieder aufgehoben war. Aus Preußen folgende Formulierung, die zeigt, damals über Frauen gedacht wurde: „politische Organisationen sind verboten für Frauenpersonen, Geisteskranke, Schüler und Lehrlinge“.

Sowas hat natürlich auch die Männer in der SPD geprägt. Doch welches Glück für die SPD, dass sie in ihren eigenen Reihen echte Kämpferinnen hatte – ich nenne da nur zwei, Clara Zetkin und Rosa Luxemburg – und ganz großes Glück einen Mann als Unterstützer. Dieser war August Bebel, der mit seinem Buch „die Frau und der Sozialismus“ doch eine ganze Menge zu einer Bewusstseinsveränderung – wohlgemerkt innerhalb der SPD – beigetragen hat. Er kannte aber auch seine Genossen und deshalb gab er den Frauen einen guten Rat: „die Frauen dürfen so wenig auf die Hilfe der Männer warten, wie die Arbeiter auf die Hilfe der Bourgeoisie“. Ein immer noch aktueller Ratschlag. Doch trotz Bebel hat es bis heute hat es noch keine Frau zur SPD-Vorsitzenden geschafft.

Und anders als andere Parteivorsitzende nach ihm, war Bebel einer, der nicht nur in der Theorie für Gleichberechtigung war. Deshalb brachte Bebel 1895 einen Gesetzentwurf für ein Frauenwahlrecht in den Reichstag ein. Aber – die Männer aller Parteien, außer der SPD, lehnten unter Gelächter diesen Antrag ab.

Und dann kam der erste Weltkrieg und auch die Frauenbewegung blieb nicht vom Nationalismus jener Jahre verschont. Die Frauen wollten zeigen, wozu Frauen an der Heimatfront fähig sind. Gertrud Bäumer, eine bürgerliche Frauenaktivistin, gründete den Nationalen Frauendienst und – weil ja auch die SPD den Kriegskrediten zugestimmt hatte, kam es damals erstmals zu einer breiten Zusammenarbeit von bürgerlichen und sozialdemokratischen Frauenrechtlerinnen.
Doch es gab auch die Kriegsgegnerinnen, sowohl bei den bürgerlichen und erst recht bei den proletarischen Frauen, Clara Zetkin und Rosa Luxemburg wurden zu ihren prominenten Fürsprecherinnen, sie organisierten mehrere Frauenkonferenzen, die den Krieg scharf verurteilten und gerieten so zusehends in Widerspruch zur Mehrheitsposition der SPD.
Auf einer dieser Konferenzen machte ein Zeitungsredakteur ein Foto von den beiden Friedensaktivistinnen. Und als er fragte, was er denn unter das Foto schreiben sollte, war die prompte Antwort von Zetkin:
„Schreiben Sie Rosa Luxemburg und Clara Zetkin, die einzigen Männer der deutschen Sozialdemokratie“.

Und dann kam das Kriegsende, die Republik wurde ausgerufen und endlich, nach 50 Jahren Kampf, war das Wahlrecht, sowohl das passive als auch das aktive da, und die Frauen haben bei dieser ersten Wahl am 19. Januar 1919 von ihrem neuen Recht regen Gebrauch gemacht. Fast 90 % der Wählerinnen sind 1919 zur Wahl gegangenen und in der verfassunggebenden Versammlung waren 10 % der Abgeordneten Frauen – übrigens ein Frauenanteil wie er erst 1983 im Bundestag wieder erreicht wurde.

Wie wirkte sich dieses neue Recht nun auf die SPD und die Parteien ganz allgemein aus? Immerhin hatten die Parteien damals
ein riesiges neues Wählerpotential gewonnen.
Ich habe zu diesem Zweck mal einige SPD-Chroniken, wie sie meistens zu Parteijubiläen erstellt werden, angeschaut und was musste ich feststellen: beim Thema Kriegsende und Neuanfang kommen die Frauen so gut wie nicht vor. Trotz Frauenwahlrecht.
(Aber vielleicht hatten auch die Autoren dieser Chroniken, die ja alle die letzten 20 Jahre erstellt wurden, keinen Blick auf die Frauen).

Immerhin in einer Chronik, die der DGB über die Arbeiterbewegung in meiner Heimatstadt herausgegeben hat, werden die Frauen als „treue Gehilfinnen ihrer Männer“ erwähnt. Aber zur Übernahme einer politischen Rolle sei damals keine Frau bereit gewesen, wird ein Zeitzeuge zitiert. Und jetzt zitiere ich aus jenem Buch: „Wären nicht die Vereine, so gäbe es über Frauen als aktiven Teil der Tübinger Arbeiterbewegung wenig zu berichten. In den Protokollbüchern der Gewerkschaften, wird keine einzige Frau erwähnt, in denen der SPD keine Frau in irgendeiner Funktion“.
Dabei war das Interesse der Frauen 1919 durchaus da. In einem SPD-Protokoll von 1919 wird vermerkt, dass von den 85 Mitgliedern, 20 Frauen sind. Und ein Jahr später, 34 Frauen und 64 Männer. Und dann lässt die Aktivität der Frauen schlagartig nach, so der Autor. Ob der Grund im spezifischen Verhalten gegenüber den Frauen im Ortsverein zu suchen ist, sei unklar. Immerhin wären die Frauen aber weiterhin engagiert geblieben bei den Frauenchören und auch bei der Arbeiterwohlfahrt.

Genauso war es im bürgerlichen Lager, auch da war wenig von frauenpolitischem Aufschwung zu verspüren. Weil das Frauenwahlrecht erreicht wurde, wähnten sich manche Frauen bereits am Ziel, weshalb damals viele Frauenvereine aufgelöst wurden.
Was lernen wir daraus? Zwischen Gleichstellungsrechten und der gesellschaftlichen Praxis klafft eine große Lücke, die ohne eine aktive Frauenbewegung nicht geschlossen werden kann und die bis heute, bei allen Fortschritten auch noch nicht geschlossen worden ist.

Weiter im Gang durch die Geschichte: den ganz großen frauenpolitischen Fortschritt brachte die Weimarer Republik also nicht. Es gab zwar einige weibliche Abgeordnete (genau 111, über die gesamte Weimarer Zeit verteilt) und es gab auch einiges an parteiübergreifender parlamentarischer Zusammenarbeit von Frauen, die bei einigen sozialen Fragen durchaus erfolgreich war. Aber z.B. das sog. „Beamtinnen-Zölibat“ konnte nicht beseitigt werden. Frauen mussten bei ihrer Heirat oder wenn sie ein uneheliches Kind bekamen, den Dienst quittieren.

Und bald schon, 1933, mussten alle frauenpolitischen Träume begraben werden, die Frauenverbände wurden gleichgeschaltet, Frauen auf ihre Hausfrauen- und Mutterrolle festgelegt, eine nie dagewesene rassistische und eine Mutterideologie zementiert.

Nach dem Zusammenbruch des 3. Reiches griffen die Frauen die vielen uneingelösten Gleichberechtigungsforderungen der Weimarer Zeit auf, gründeten die Frauenverbände neu und forderten von Anfang an, am demokratischen Aufbauprozess beteiligt zu werden. Die sozialdemokratischen Juristin Elisabeth Selbmann, eine von nur vier Abgeordneten des parlamentarischen Rates, gelang damals der größte frauenpolitische Erfolg, die Gleichberechtigung verfassungsrechtlich festzuschreiben. „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ (Artikel 3, Absatz 2 GG). Doch mit dieser verfassungsrechtlichen Verankerung war die faktische Gleichheit noch lange nicht erreicht. Bei der Gleichberechtigung in der Realität ging es erstmals rückwärts. Die Männer, die aus dem Krieg heimkehrten, schoben die selbstbewusst gewordenen Frauen, die im Krieg auch ohne Männer den Alltag in Gang gehalten hatten, zurück an den Herd und die Frauen ließen das, anders als im Osten, auch zu. Und die Männer in den Parlamenten dachten parteiübergreifend nicht daran, das Gleichheitsgebot des GG im Bürgerlichen Gesetzbuch nachzuvollziehen. Im Familienrecht widersprach so gut wie alles dem Gebot der Gleichberechtigung. Ohnehin sollte dieser Grundsatz nur gelten, wenn er nicht zum Schaden der Familie gereichen würde. Berufstätig durfte eine Ehefrau nur sein, soweit dadurch ihre Pflichten als Ehefrau und Mutter nicht beeinträchtig würden, bei Meinungsverschiedenheiten sollte der Ehemann das letzte Wort haben und ganz klar, erste Aufgabe der Ehefrau ist die Haushaltsführung. Und das sollte so bleiben, meinte damals die 90%ige Männermehrheit im ersten Bundestag. Daher musste das BVerfG die Parlamentarier erst dazu zwingen, den Verfassungsgrundsatz in entsprechendes Recht umzuwandeln, aber auch das taten die Herren höchst widerwillig und zunächst auch nur äußerst halbherzig. Und wäre damals im BVerfG nicht eine so couragierte Richterin wie Erna Scheffel gewesen, wäre wahrscheinlich gar nichts passiert.
Ich kann mir gut vorstellen, wie diese Frau sich aufgeregt haben musste, wenn vonseiten der Politik immer wieder versucht wurde durch neue Paragraphen alte Rollenbilder zu zementieren – z.B. durch so Zusätze wie „Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist“. Gestrichen wurde dieser Satz erst in den 70er Jahren während der sozialliberalen Koalition.

Und wie sieht es mit den Frauenrechten heute aus?
Sicherlich, es hat sich einiges getan die letzten Jahrzehnte, nicht zuletzt in rechtlicher Hinsicht: das Scheidungsrecht wurde im Interesse der Frauen reformiert, denken Sie nur mal an das früher geltende Schuldprinzip, das Namensrecht wurde verändert,
das Abtreibungsrecht wurde liberalisiert, was war das für ein langer und zäher Kampf gegen den § 218? Und dieser Kampf wurde Anfang der 70er Jahre zum Auslöser der Neuen Frauenbewegung, die auch vor der SPD nicht Halt machte. Ihr haben wir letzten Endes auch die Quote zu verdanken.
Bei der Berufsausbildung hat sich viel getan, Frauen sind vielfach besser ausgebildet als Männer, trotzdem sieht es in den Chefetagen vieler Unternehmen immer noch mau aus, auch in den Parlamenten gibt es Nachholbedarf, besonders in Baden-Württemberg.
Und Frauen können inzwischen Berufe ergreifen, die ihnen früher verwehrt waren, z. B. Polizistin, das war bis 1986 nicht möglich.

Vor acht Jahren gab es dann mit dem Zusatz zum Gleichheitsgebot des GG einen ganz großen rechtlichen Fortschritt:
„Der Staat fördert die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehenden Nachteile hin“. Zu verdanken haben wir dies übrigens auch einer Sozialdemokratin, der früheren Justizministerin Herta Däubler-Gmelin.

Doch trotz all dieser Verbesserungen gibt es sie eben immer noch und zwar ganz beträchtlich, die Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen, besonders im Beruf und ganz oft immer noch dann, wenn sich ein Kind ankündigt. Miese Arbeitsverhältnisse, unfreiwillige Teilzeitbeschäftigung, geringere Bezahlung, das trifft nicht nur Frauen, aber eben überwiegend Frauen. Die Folgen sind, geringere Renten und eine wachsende Altersarmut – wiederum in erster Linie bei den Frauen. Und trotz Reformen beim Sexualstrafrecht, Platzverweisverfahren und vielem mehr, ist uns auch das Thema Gewalt erhalten geblieben.
Gerade an einem Internationalen Frauentag, gilt es, beim Thema Gewalt den Blick nicht nur auf unser eigenes Land zu richten, sondern auch über die europäischen Grenzen hinweg. Und dann stellen wir fest, dass sich in den letzten Jahre eben bei weitem nicht alles zum Guten gewendet hat. Im Gegenteil, wenn wir zum Beispiel auf den Nahen Osten schauen, wo es zum Teil nicht mal auf dem Papier für Frauen die gleichen Rechte gibt, wo wie in der Türkei ein Roll-back der Frauenrechte stattfindet oder wo es wie in Saudi-Arabien bis heute kein Frauenwahlrecht gibt – von sonstigen Rechten ganz zu schweigen.

Und überall dort, wo mit Religion Politik gemacht wird und Versuche laufen einen Gottesstaat aufzubauen, haben die Frauen verloren.
Und deshalb ist an dem heutigen Tag ganz besonders die internationale Solidarität gefragt, unsere Solidarität mit den entrechteten Frauen in ganz vielen Länder. Mit den Frauen in der Türkei, die für Frauenrechte und damit für die Demokratie auf die Straße gehen, mit den jungen Frauen, die fast noch als Kinder zwangsverheiratet werden, mit den Frauen im Iran, die ihre Kopftücher wegwerfen, mit den Frauen in Afrin und anderswo, deren Leben bedroht ist. Sie alle brauchen unsere Solidarität und ihnen allen dürfen wir nicht in den Rücken fallen, indem wir wegsehen oder es gar akzeptieren, wenn durch falsche Toleranz ihre Emanzipationsbemühungen und die so vieler muslimischer Frauen sabotiert werden. Also Null Toleranz, wenn Frauenrechte beschnitten werden.
Deshalb kommt es auch hierzulande darauf an, klare Kante zu zeigen gegen Fundamentalisten aller Art, gegen Islamisten genauso wie gegen sämtliche Rechtspopulisten mit ihrem rückständigen Frauen- und erzkonservativem Familienbild.
Das sind nicht die angenehmsten Auseinandersetzungen, vor allem, weil es oft genug auch Frauen sind, die Menschenrechtsverletzungen und Benachteiligungen mit der Begründung Kultur oder Biologie relativieren. Aber wenn wir diese Auseinandersetzung nicht führen, laufen wir tatsächlich Gefahr, dass das Rad der Geschichte zurück gedreht wird. Es gibt nämlich keinen automatischen Fortschritt. Wenn es die letzten Jahrzehnte meistens zwei Schritte vor und einen zurück ging, so kann es auch passieren, dass es nur noch zwei Schritte zurückgeht. Und dann landen wir schnell wieder in den 50er Jahren und es gibt genug Machos auf der Welt, die genau so etwas wollen.

Von daher kann es eben auch Zeiten geben, in denen es darauf ankommt, das Erreichte zu sichern, was aber noch lange nicht heißt, dass wir uns damit begnügen. Wir Sozialdemokratinnen kämpfen weiter, bis wir die vollständige Gleichstellung auf allen gesellschaftlichen Ebenen erreicht haben. Solange brauchen wir auch den Internationalen Frauentag, den wir in diesem Jahr zum 107. mal feiern und der übrigens 1910 von Clara Zetkin initiiert wurde.

Ich wünsche uns allen einen kämpferischen Frauentag.

 

 

Jetzt: SPD erneuern!

4. März 2018

Die SPD-Mitglieder haben entschieden. Die SPD wird erneut in eine große Koalition gehen. Jetzt besteht die große Herausforderung darin, eine transparente und basisorientierte Erneuerung zu starten. Die Sozialdemokratie steht jetzt an einem Scheideweg. Die Zukunft der SPD wird entscheidend davon abhängen, ob es ihr gelingt, sich in der Regierung zu erneuern.

Die DL 21 wird sich am Neustart konstruktiv beteiligen. Wir sehen uns in der Verantwortung, inhaltliche Impulse zu geben und diejenigen, die nicht für die große Koalition gestimmt haben, weiter an die Partei zu binden.

Wir wollen die SPD wieder zu einer Partei der Arbeit und sozialen Gerechtigkeit machen. Die Sozialdemokratie muss der Mehrheit der Bevölkerung eine Stimme geben und deren Arbeits- und Lebensbedingungen spürbar verbessern. Dafür braucht es die inhaltliche und demokratische Erneuerung der Partei. Nur auf dieser Grundlage kann es gelingen, wieder gesellschaftliche Mehrheiten für eine linke Reformpolitik zu gewinnen.

 

Fehler korrigieren

Die SPD ist heute in den Augen vieler ehemaliger SPD-Wählerinnen und Wähler nicht mehr der natürliche Anwalt der abhängig Beschäftigten und sozial Benachteiligten. Nicht einmal jeder Dritte traut der Sozialdemokratie in Gerechtigkeitsfragen noch etwas zu. Die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wählt nicht mehr rot.

Das durch die Agenda-Politik verlorene Vertrauen wird nicht mit kleinen Reparaturen zurückgewonnen. Eine Politik der kleinen Schritte ist nicht erfolgreich, wenn gleichzeitig die sozialen Probleme immer größer werden. Deutschland hat trotz Mindestlohn einen der größten Niedriglohnsektoren Europas. Unsichere Beschäftigung ist weit verbreitet, die Einkommensunterschiede verharren auf hohem Niveau, für einmal abgehängte und arbeitslos gewordene Menschen gibt es so gut wie keine Aufstiegsmöglichkeiten, Millionen Menschen sind von Altersarmut bedroht, in den Krankenhäusern und Altersheimen herrscht Notstand, in den Kitas und Schulen mangelt es an Personal und in den Ballungsräumen explodieren die Mieten.  Auch auf den digitalen Wandel der Arbeitswelt hat die SPD bis heute keine Antworten gegeben, welche den Ängsten und Befürchtungen der Menschen entgegenwirken können. Um die SPD als Partei der sozialen Gerechtigkeit wieder erkennbar zu machen, muss die Partei sich inhaltlich neu aufstellen.

 

Für eine gerechte und solidarische Gesellschaft

Die SPD braucht ein reformpolitisches Konzept. Die wichtigste Aufgabe einer sozialdemokratischen Partei ist die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der

Bevölkerung. Einen Neustart braucht die Sozialdemokratie auch in wirtschaftspolitischen Fragen. Die SPD sollte wieder eine Wirtschaftspolitik verfolgen, die auf Vollbeschäftigung, soziale Sicherheit und ökologische Nachhaltigkeit abzielt. Darüber hinaus muss die Sozialdemokratie aber auch als Europa- und Friedenspartei erkennbar sein.  Konkret bedeutet das:

  1. Eine Politik für gute Arbeit.
    Sozialdemokraten müssen konsequent für sichere, gesunde und tariflich entlohnte Arbeit streiten Das erfordert die politische Stärkung von Tarifverträgen sowie die Eindämmung von Niedriglöhnen und prekärer Beschäftigung. Zudem muss die SPD durch eine Aufwertung von Dienstleistungsarbeit, mehr Arbeitszeitsouveränität sowie die Qualifizierung und Humanisierung der Arbeit fortschrittliche Antworten auf den Wandel der Arbeitswelt geben.
  2. Eine Politik für gute Rente.
    Die gesetzliche Rente muss vor Armut schützen und den Lebensstandard sichern. Dafür muss das Rentenniveau wieder deutlich angehoben werden. Darüber hinaus sollten Zeiten der Arbeitslosigkeit, Kindererziehung und Pflege sowie gering entlohnte Erwerbsphasen rentenrechtlich kräftig aufgewertet werden.
  3. Eine Politik für gute Gesundheit
    Gesundheit darf keine Ware sein. Wir müssen die real existierende Zwei-Klassenmedizin überwinden. Die Kranken- und Pflegeversicherung muss zu einer Bürgerinnenversicherung umgebaut werden, die allen Menschen Teilhabe am medizinischen Fortschritt garantiert, die gesundheitliche Versorgung deutlich verbessert und solidarisch finanziert wird.
  4. Eine Politik für Zukunftsinvestitionen
    Die öffentliche Infrastruktur muss erneuert und ausgebaut werden. In Bildung, Soziales, Wohnungsbau, Klimaschutz und Verkehr muss jedes Jahr ein mittlerer zweistelliger Milliardenbetrag investiert werden. Eine solche Investitionsoffensive darf nicht an einer Finanzpolitik nach Kassenlage – schwarze Null und Schuldenbremsen – scheitern. Die notwendigen Investitionen müssen entweder über Kredite und/oder eine höhere Besteuerung von Reichen und Unternehmen finanziert werden.
  5. Eine Politik für ein soziales Europa
    Europa hat nur eine Zukunft als soziales Europa. Ein demokratisches und soziales Europa braucht eine europäische Wirtschaftsregierung, ein gemeinsames Schuldenmanagement, eine Koordination der nationalen Sozial- und Lohnpolitiken, und besser regulierte Finanzmärkte. Anstelle der Austeritätspolitik sind Zukunftsinvestitionen notwendig, besondere in strukturschwachen und von den Krisen der letzten Jahre am stärksten betroffenen Ländern und Regionen. Die Rechte des europäischen Parlaments müssen deutlich erweitert werden.
  1. Eine Politik für eine friedliche Welt

Weltweit nehmen die militärischen Konflikte zwischen und innerhalb der Staaten zu. Um gewaltsame Scheinlösungen dieser Konflikte zu verhindern, braucht es eine faire Handelspolitik sowie eine Stärkung der internationalen Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe. Eine Politik der Abschottung gegen Flüchtlinge ist der falsche Weg.

 

  1. Mehr Demokratie in Wirtschaft und Politik

Die SPD muss eine Politik verfolgen, die demokratische Teilhabemöglichkeiten in allen gesellschaftlichen Bereichen weiter öffnet. Hierzu zählt insbesondere die gesellschaftliche und politische Mitentscheidung von Menschen mit Behinderungen im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention. Monopolmacht des digitalisierten Kapitalismus gilt es zurückzudrängen und dezentrale und demokratische Strukturen zu ermöglichen und zu fördern, wie z.B. Genossenschaften.

 

Eine moderne Mitgliederpartei

Mit über 460.000 Mitgliedern sind wir die mitgliederstärkste Partei Deutschlands. Das muss erlebbar sein. Die Mitglieder wollen mehr Beteiligung und wichtige Entscheidungen selbst treffen. Wir müssen eine Mitmach- und Mitbestimmungspartei sein. Das Engagement der SPD muss sich für unsere Mitglieder lohnen. Dazu war das Mitgliedervotum ein wichtiger Schritt. Weitere Schritte müssen folgen. Konkret heißt das:

  1. Unsere Mitglieder müssen an zentralen Personalentscheidungen direkt beteiligt werden. Der Parteivorsitz muss durch Urwahl bestimmt werden. Parteivorstand und Präsidium sollten ein repräsentatives Abbild der Mitgliedschaft darstellen. Dieses Ziel kann durch entsprechende Quoten erreicht werden.
  2. Die Parteitage brauchen mehr Raum für inhaltliche Debatten. Die Delegierten sollen die Anträge der Mitglieder diskutieren und nicht Anträge des Parteivorstands ratifizieren. Überweisungen an Parteivorstand und SPD-Fraktion oder Erledigungen durch Antrag des Parteivorstands wertschätzen nicht die inhaltliche Arbeit vieler Ortsvereine und Kreisverbände.
  3. Die direkte Diskussion zwischen Mitgliedern und Parteispitze sollte im Rahmen von Mitgliederforen und Konferenzen fortgeführt werden. Dies kann vereinzelt auch Online erfolgen.
  1. Wichtigster Baustein für die Beteiligung bleiben die Ortsvereine und Arbeitsgemeinschaften der SPD. Dort, wo Strukturen brachliegen oder nicht mehr existieren, muss der Parteivorstand verstärkt eingreifen, um Mitglieder zu unterstützen. Insbesondere im Osten und Süden unseres Landes braucht es strukturelle Unterstützung durch die Parteizentrale, damit die SPD überhaupt noch vor Ort wahrnehmbar und ansprechbar ist.

Die Debatten der letzten Wochen zeigen: Die SPD muss sich auf den Weg der Erneuerung machen: Inhaltlich, strukturell und auch personell. Sozialdemokratie hat nur eine Zukunft, wenn die Erneuerung gelingt!

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